Was ist Yoga wirklich? Zustand, Prozess, beides?
Was Yoga in der Tiefe bedeutet?
Viele Menschen verbinden Yoga vor allem mit Bewegung, Dehnung und vielleicht einem Moment der Entspannung. Doch Yoga ist viel mehr als das:
Im Yoga Sutra (YS) des Patanjali wird Yoga als das „Zur-Ruhe-Kommen der Bewegungen im Geist“ beschrieben (YS 1.2). Das bedeutet: einen Ort in sich zu finden, an dem es still wird – jenseits von Gedanken, Sorgen und Alltagslärm. Hier wird Yoga als ein Zustand des Seins beschrieben, ein Zustand tiefer Stille, Klarheit und Freiheit von mentalen Schwankungen. Doch dieser Zustand entsteht nicht einfach so. Er ist das Ergebnis eines Prozesses: durch bewusste Bewegung, Atmung, Achtsamkeit, innere Reflexion und das Lernen loszulassen. Es ist ein Übungsweg, der Körper, Geist und Seele über Disziplin, Selbsterkenntnis und Hingabe (YS 2.1) in diesen Zustand führt. Die acht Stufen des Ashtanga Yoga (Kapitel 2) bieten dabei eine systematische Orientierung, beginnend von ethischer Lebensführung über körperliche Praxis bis hin zur meditativen Versenkung.
Das höchste Ziel des Weges ist Kaivalya – ein Zustand vollkommener Freiheit und Unabhängigkeit. Es ist jener Zustand, in dem der Geist vollkommen zur Ruhe gekommen ist und keine Identifikation mit Gedanken, Emotionen oder dem Körper mehr besteht. Das bedeutet aber nicht Isolation im weltlichen Sinn, sondern eine tiefe innere Freiheit: das Erkennen der eigenen wahren Natur jenseits aller Rollen, Erfahrungen und Begrenzungen.
Die Asana-Praxis – so zentral sie im modernen Yoga oft erscheint – ist bei Patanjali nur ein Teil des Weges, ein Mittel, nicht das Ziel! Sie bereitet den Körper vor, um längere Zeit stabil und mühelos sitzen zu können (YS 2.46), damit sich der Geist in der Meditation sammeln kann.
So versteht Patanjali Yoga als tiefgehenden Prozess der Transformation – hin zum Zustand tiefer Stille und Selbstverwirklichung.
Und so verstehen wir Yoga – als Weg, als Erfahrung und als innerstes Ziel. So bemühen wir uns zu leben und in diesem Sinne unterrichten wir: achtsam, authentisch und mit offenem Herzen. Die acht Stufen des Patanjali sind für uns keine starre Anleitung, sondern eine lebendige Orientierung – ein Kompass für eine Praxis, die weit über die Matte hinausgeht, eine Einladung sich selbst immer wieder in Achtsamkeit tiefer zu begegnen.



